?? Moment der Begegnung- ein persönliches Erlebnis im Hospiz:

Inseln im Meer des Vergessens Mit verlorenem Blick sitzt sie in ihrem Zimmer, schaut mich fragend an.

Nein, sie erkennt mich nicht wieder. Höflich bleibt sie dennoch, aber verhalten. Auch meine Worte ändern daran nichts. Dann stimme ich ein Lied an ‚Am Brunnen vor dem Tore‘ und bereits nach wenigen Tönen strahlt sie: „Jetzt weiß ich, wer Sie sind!“

Das Lied öffnet ihr blitzschnell den Zugang zur Erinnerung unserer letzten Begegnung vor wenigen Tagen. Und sie ist wie ausgewechselt: singt mit, lacht und schaut mich unverwandt an. Das gemeinsame Singen muss wohl eine Gedächtnisspur in ihr hinterlassen haben, die trotz ihrer fortgeschrittenen Demenz dem Vergessen trotzt. Es sind nicht die Informationen, die bleiben, sondern die Erlebnisse, besonders, wenn sie von Freude begleitet sind. Und der beste Anknüpfungspunkt ist ein Erlebnis ähnlicher Art.

Und so überlege ich weiter: Vielleicht können wir alle dieser Frau den Weg zu ihrer Gedächtnisspur öffnen, wenn wir sie singend begrüßen, egal ob in Pflege, Betreuung oder Therapie. So können wir ihr, die nicht mehr weiß, wo sie ist, eine innere Heimat bieten durch die Kontinuität gemeinsamer Erlebnisse, die sich tief in ihr verankern: Inseln im Meer des Vergessens.