Seine Diagnose hat er erst vor wenigen Wochen bekommen und ist doch bereits im Hospiz. Es ging alles sehr schnell. Im Alter von 55 Jahren wurde sein Leben auf den Kopf gestellt.

Mit diesen Gedanken in mir gehe ich zu ihm: Wie geht es ihm? Was bewegt ihn? Kann ich ihm Unterstützung sein?

Nach wenigen Minuten unseres Gesprächs sagt er unvermittelt: 

„Ich habe meine Tochter seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Da habe ich Mist gebaut. Und ich würde ihr doch so gerne noch einmal sagen, dass ich sie lieb habe. Aber ich weiß nicht wie. Ich weiß noch nicht einmal, wo sie wohnt.“

Tränen stehen in seinen Augen. 
Sein Schmerz ist spürbar und berührt mich. 

Ich denke nach: Was könnte in kurzer Zeit möglich sein? Planen lässt sich im Hospiz nichts. Wir lernen, in kleinen Schritten zu gehen. Heute einen zu machen und morgen manchmal eine ganz neue Situation vorzufinden.

Mir kommt eine Idee: 
„Wir könnten zusammen einen Brief an Ihre Tochter schreiben.“ 
Er zögert. Weiß nicht, wie das gehen kann.
Also mache ich einen Vorschlag, zeige ihm, wie dies aussehen könnte: 
„Ich stelle Ihnen Fragen, Sie erzählen, ich schreibe mit. 
Sie können ihrer Tochter sagen, was sie Ihnen bedeutet und auch, was Sie bedauern.“

Mit großen Augen schaut er mich an, im Inneren scheinen sich neue Bilder zu formen.

Und ich denke: Wir werden alles versuchen, um den Brief seiner Tochter zuzustellen. Aber selbst wenn wir nichts herausfinden und der Brief sie nie erreichen sollte, er hat ihn doch geschrieben, hat zu Papier gebracht, was ihm auf der Seele liegt. Ist einen Schritt auf sie zugegangen.

Sein Gesicht beginnt zu strahlen. In der Sackgasse hat sich eine Tür geöffnet. 

Noch lange winkt er mir nach: „Wie schön, dass Sie da waren. Ade. Bis bald.” 

Für heute war es genug. In ihm hat sich viel bewegt. Übermorgen komme ich wieder. Was dann sein wird, werden wir sehen.