Anlässlich des internationalen Tages der Stimme sprachen wir mit Dr. Astrid Steinmetz. Mit ihrem Konzept Kommunikation ohne Worte-KoW® hat sie uns bereits im Rahmen eines Vortrages beeindruckt. Jetzt sprachen wir mit ihr über den Wert der Stimme.

Frau Dr. Steinmetz, welche Bedeutung hat die Stimme für den Menschen?

Da gibt es viele. Zum einen nutzen wir die Stimme für den Ausdruck, also um uns in der Welt hörbar und spürbar zu machen. Mit der Stimme können wir sehr feine Facetten unserer Emotionen ausdrücken, so wie mit der Mimik. Menschen sind beim Identifizieren von Emotionen in der Stimme sogar besser als beim Lesen von Mimik.

Zum zweiten, drücken wir mit der Stimme aus, wie wir etwas meinen. Die Worte sind nur das Gerüst, die Stimme bestimmt, was sie bedeuten. Nehmen wir zum Beispiel den Satz „Kommst du heute?“. Durch die Betonung und die Stimme kann er, obwohl es immer dieselben Wörter sind, unterschiedliche Bedeutungen haben. Er kann einladend sein, aber auch ausdrücken, dass es eigentlich gar nicht passt. Die Stimme kann auf der Bedeutungsebene sehr fein nuancieren.

Und zum Dritten sagt die Stimme auch etwas darüber aus, wie wir jemandem gegenüber eingestellt sind. Sympathie, Interesse, aber auch Status liegen in der Stimme. Sie ist ein Schatz, der Bedeutung aus dem Inneren nach außen bringt.

Und welche Auswirkungen auf Kommunikation und Beziehung hat es, wenn dieser Schatz nicht mehr da ist?

Es gibt hier mindestens zwei Perspektiven: Die des Menschen, der seine Stimme verliert und die Stimmen der Personen, die er hört. Diejenigen, die sich um einen kranken oder sterbenden Menschen kümmern und um ihn herum sind.

Fangen wir mit dem Patienten oder Gast an: zum Ende des Lebens hin wird die Verwendung der Sprache oft unsicher. Manchmal geht sie vollständig verloren, dann gibt es noch Laute. Diese können Ausdruck von Empfindungen sein oder auch von Schmerzen. Leider versiegt mit der Sprache oft auch die Stimme und ein Mensch verstummt. Jedoch ist auch ein Seufzen oder ein Stöhnen ein Ausdruck. Und je mehr Möglichkeiten jemand hat, sich auszudrücken, desto besser kann er sich auch regulieren. Wenn es keine Möglichkeiten gibt, sich auszudrücken, dann kann man sich weniger mitteilen, dadurch geht auch die emotionale Beweglichkeit verloren. Als Musiktherapeutin kann ich mit diesen Ausdrucksformen arbeiten und etwas Gemeinsames erschaffen, bei dem aus einem anfänglichen Stöhnen manchmal eine Melodie oder sogar ein Lied entsteht. Der Patient erlebt dann ein Miteinander im geteilten Ausdruck.

Eine andere Frage ist, was der Schwerkranke in den Stimmen derer, die ihn umgeben, wahrnimmt: Das Ohr kann der Mensch nicht verschließen, auch braucht es keine Konzentration, um etwas zu hören. Wir hören immer, es sei denn man hält sich die Ohren zu. So kann es passieren, dass ein Patient, der verstummt ist, sehr laut angesprochen wird, da aufgrund fehlender Reaktionen schnell angenommen wird, dass er schwerhörig sei. Das kann in einer Verfassung, in der ein Mensch extrem reizoffen und verletzlich ist, fast wie ein Gewaltakt empfunden werden. Jedoch können Stimmen auch sehr positiv wirken, wenn sie Wärme, Geborgenheit, Nähe und Bezug vermitteln. Wenn jemand z.B. sehr langsam ist und ich verlangsame mein Sprechen, dann wird ein Bezug hergestellt, dann wird Ähnlichkeit hörbar. So entsteht Verbundenheit, die trägt.

Die Erkenntnisse, die Dr. Astrid Steinmetz in ihrer praktischen Erfahrung gesammelt hat, sind längst noch nicht überall bekannt. Zwar gibt es in der generalistischen Ausbildung zur Pflegefachkraft einen großen Schwerpunkt Kommunikation. Doch die vielen Facetten der Stimme und des körpersprachlichen Ausdrucks, die den Umgang mit Patienten, Bewohnern und Gästen formen und erleichtern können, sind noch nicht im breiten Bewusstsein angelangt.

Dr. Astrid Steinmetz merkt an, dass wir unsere Kommunikationsgewohnheiten über lange Zeit in Interaktionen mit gesunden Menschen erworben haben. Wenn wir diese 1:1 in die Arbeit mit Schwerkranken oder Sterbenden transportieren, dann können wir ungewollt Stress auslösen. In der Begleitung von Menschen mit kommunikativen oder auch kognitiven Einschränkungen brauchen wir einen stimmlichen und körperlichen Ausdruck, der auf diese veränderten Bedürfnisse abgestimmt ist, also eine andere Körpersprache als mit Gesunden. Im hospizlichen Kontext wollen wir den Menschen so unterstützen und begleiten, dass es ihm hilfreich ist, er soll sich wahrgenommen fühlen. Dafür ist Aufmerksamkeit darauf, wie wir mit Gästen sprechen, erforderlich. Wie klingt die eigene Stimme, sind Lautstärke und Geschwindigkeit angemessen, passt der Klang zum Gegenüber? Wir brauchen also ein offenes Ohr für unsere eigene Stimme, um uns bewusst zu werden, was der Kranke hört. Denn er hört uns immer, bis in die letzten Sekunden seines irdischen Daseins. Nur, wenn wir wissen, was wir bewirken, können wir bewirken, was wir wollen.

Das Interview ist erschienen auf der Webseite des Hospiz Halle:
https://www.hospiz-halle.de/unser-haus/aktuelles/376-die-stimme-ist-ein-grosser-schatz?fbclid=IwAR0EZcTPqwaKuEJZ17goUDizvqbdoA7FakLr9Ho0MFClcYaxDhs3zJwdQ_M

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