Geschwächt liegt sie in ihrem Bett:
„Ich möchte sterben. Das Leben hat doch sowieso keine Bedeutung.“

„Wirklich?“, frage ich. „Hat es nicht eigentlich immer Bedeutung? Auf jeden Fall hat es Auswirkungen.“ 

Interessiert hört sie zu, also fahre ich fort: „Wenn jemand Sie beispielsweise anranzt, dann beschäftigt Sie das. Und wenn jemand ein freundliches Wort zu Ihnen sagt, freut Sie das. Unser Verhalten bewegt etwas bei anderen. Und Sie haben mit Ihrem Leben etwas in die Welt gebracht, das nur Sie bringen konnten. Steckt darin nicht Bedeutung?“

Da spricht etwas in ihr an und sie sinnt nach, den Blick nach innen gewandt. 
„Ich möchte noch einmal in mein Leben hineinschauen“, sagt sie unvermittelt. „Ich möchte entdecken, was mich froh gemacht hat.“

Welch ein Umschwung von Überdruss und Leere hin zu Fülle! Was für eine kostbare Frage!

„Meine zweite Ehe“, fällt ihr dazu ein. 
„Was hat Ihnen daran so gefallen?“
„Wir sind viel gereist.“ 

Was steckt hinter diesen knappen Worten? Welche Bedeutung liegt darin verborgen? Um das zu entdecken, biete ich ihr meine Gedanken an: 
„Sie haben miteinander viel erlebt und entdeckt.“ 
„Ja“, bestätigt sie, „und wir haben miteinander getanzt.“ 
Ich taste mich weiter vor: „Wenn man sich gemeinsam zur Musik bewegt, kann eine besondere Verbindung entstehen, innig und leicht zugleich.“ 
Ganz aufmerksam hört sie zu, lässt die Worte nachklingen, nickt.
Weiter fließt es aus ihr: „Er hat mir die Wünsche von den Augen abgelesen.“
Und ich biete ihr an: „Das war aufmerksam und feinfühlig von ihm. Sie haben wohl erfahren, was es heißt, geliebt zu werden.“
Ihr Gesicht leuchtet nun und sie fährt fort: „Er hat Musik gemacht in seiner Freizeit und ich habe gemalt.“ 
Auch dazu formuliere ich meine Gedanken: „Sie waren beide musisch interessiert. Jeder hatte seinen eigenen Bereich, aber diese lagen dicht beieinander.“ 
Glücklich hört sie mir zu.

Eine Tür hat sich für sie geöffnet. Und sie ist hindurch geschritten. Das lässt mich ihr eine letzte Sichtweise anbieten:
„Vielleicht ist es das Geschenk dieser letzten Tage, auf das Leben zurückzublicken, dessen Schätze einzusammeln und sich an ihnen zu erfreuen.“

Nachdenklich schaut sie mich an, dann nickt sie und sagt versonnen: „Wie schade, dass wir uns erst so spät kennengelernt haben. Ich hätte Ihnen gerne noch so viel erzählt.“

Manchmal braucht es einen Menschen, der im Zuhören aufspürt, was hinter den Worten liegt. Um gemeinsam den Wert gelebten Lebens zu entdecken und darüber zu staunen.