Momente der Begegnung – eine persönliche Erfahrung im Hospiz:

Ausdruck und Gestaltung wiederfinden

Eine schmale, fast zerbrechliche Frau mit eisernem Willen, so lerne ich sie kennen. Vor zwei Monaten konnte sie noch sprechen, dann raubte ihr eine Hirnmetastase die Worte. Sie versteht zwar alles, ist selbst aber verstummt.

Von Mal zu Mal entdecken wir nun gemeinsam ihre Stimme wieder: Laute wie A & O rufen wir beide, einzelne Silben kommen dazu, und in der Wiederentdeckung einzelner Worte ist sie hochkonzentriert. So bruchstückhaft es ist, so sehr schöpft sie Kraft daraus. Und ist dann doch auch wieder erschöpft.

Also baue ich heute ein spielerisches Element ein: Ich halte ihr das Monochord hin, sie streicht darauf. Dann beginne ich, dazu Melodien zu singen. Und irgendwann entdeckt sie es: Wenn sie lauter und schneller spielt, verändere ich meine Art zu singen, passe mich ihr an. Ganz gebannt schaut sie mich an und spielt und spielt, mal langsam, mal schnell. Sie die Dirigentin, ich ihre Solistin.

Und sie genießt es aus vollen Zügen: Ich werde zu ihrer Stimme und sie erlebt, dass sie diese mit Leichtigkeit gestalten kann.